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Beitrag vom 09.12.2004
En Garde - und los
Julia Rohrbeck
AVIVA-Berlin sprach mit den beiden Newcomerinnen Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin über Pubertät, Pickel und Psychiatrie, aber auch über Teufelskreise, Theater und Türkei
AVIVA-Berlin: Wie seid Ihr zur Schauspielerei gekommen?
Maria Kwiatkowsky: Ich habe irgendwann mit 12 entschieden, mal ein bißchen was in Richtung Theater zu machen, ein Plakat gesehen, wo jemand in einem kleinen Theater bei mir in der Nähe einen Schauspielkurs angeboten hat.
Dort habe ich mit Schauspielkursen für Kinder und Jugendliche angefangen, dann bin ich zwischen den Regisseuren hin- und hergewandert, habe ziemlich viel durch Methodentraining gelernt. Nach ein paar Inszenierungen bin ich von dort aus in andere kleine Theater hier in Berlin gegangen. Anschließend in die Volksbühne. Dort gibt es seit etwa 10 Jahren das Theaterprojekt P14. Mittlerweile gibt es 2 Gruppen: Die eine wird von Theaterpädagogen geleitet, die andere ist autonom. Die habe ich mir ausgesucht, weil die eine vollkommen andere Theaterart machen. Wir bauen die Stücke auf einem Thema auf und improvisieren dazu. En Garde war ein Zufall. Ich war beim Theatertreffen der Jugend, habe mir ein P14-Projekt angeguckt, saß draußen und habe von den Mädels der Casting-Firma einen Zettel in die Hand gedrückt bekommen. Dann bin ich hingegangen, war 3 Mal da und dann habe ich die Rolle gehabt.
AVIVA-Berlin: Der Kinofilm hat dich aber schon ziemlich gereizt?
Maria Kwiatkowsky: Ja natürlich, mal ordentlich Potte verdienen. Das war eine große Erfahrung. Drei Monate nicht viel zu Hause sein, der Dreh fiel auch gerade in die Abitur-Zeit, aber ich habe mich trotzdem getraut, Risiko. Das Abi habe ich dennoch gemacht.
AVIVA-Berlin: Und du, Pinar, kommst eigentlich vom Fernsehen und hast schon in diversen Fernsehproduktionen mitgewirkt...
Pinar Erincin: Ich komme aus einer Schauspielerfamilie, meine Eltern sind Schauspieler und ich habe mich, seitdem ich denken kann, unter Schauspielern und im Theater aufgehalten. Mit 6/7 Jahren habe ich das erste Mal selber Theater gespielt, mit 11/12 Jahren angefangen zu drehen, kleinere Rollen in Serien. Daraus wurden die ersten Episodenhauptrollen, dann kleinere Rollen in Filmen. Schließlich kam das Angebot meiner Agentur zum Casting für En Garde. Da war ich 3,4 Mal, bis es geklappt hat.
AVIVA-Berlin: Welche Erfahrungen habt Ihr während des Drehs gemacht?
Pinar Erincin: Die Arbeit ist intensiv, wir haben 3 Monate fast täglich viele Stunden gearbeitet. Bei einer Serie oder beim Fernsehen, hast du 5 oder 6 einzelne, oft unzusammenhängende Drehtage. Die Arbeit ist weniger intensiv und weniger hart. Die Rolle der Berivan in "En Garde" ist eine echte Charakterrolle. Am Ende bist du die ganze Zeit auf der Leinwand und musst alles geben.
AVIVA-Berlin: Ihr habt vor dem Dreh jeweils 2 Wochen an den Schauplätzen und am Drehbuch gearbeitet. Wie lief diese Arbeit ab?
Maria Kwiatkowsky: Wir haben geprobt. Dass wir 2 Wochen am Drehbuch gearbeitet haben, stimmt nicht ganz, weil während der gesamten Arbeitszeit ständig alles Mögliche umgeworfen wurde, vor allem textlich. Das war eine wichtige Zeit, wir haben viele Szenen geprobt, haben mit Ayse zusammen unsere Rollen immer mehr kapiert und konnten so ziemlich gut in den Dreh einsteigen.
Pinar Erincin: Wir haben vor dem Dreh fast alle Szenen, ob im Produktionsbüro oder auf dem Anwesen in Auermühle, durchgespielt und waren daher auch gut vorbereitet. Wir haben viel am Drehbuch gearbeitet, viel über die Rollen geredet und uns von Ayse in die Rollen hineinversetzen lassen. Die Arbeit war sehr intensiv.
Maria Kwiatkowsky: Zum Vergleich: Letzte Woche habe ich die Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm abgeschlossen. Ich war dafür einen Monat in München, nur ein Drittel der Zeit, die wir für "En Garde" gebraucht haben. Die Arbeit fürs Fernsehen geht viel schneller. Damit es gut wird, musst du als Schauspieler viel mehr Intensität und Kraft aufwenden. Ich hatte eine Super-Regisseurin und tolle Schauspielerkollegen, ein nettes Team. Alles in allem war es eine sehr schöne und konstruktive Zeit. Aber ich glaube, dass ich nicht so intensiv Fernsehen machen will. Es gibt zwar schöne Projekte, aber die Arbeit ist so schnell und du hast als Schauspieler keine Zeit, dich und deine Rolle zu entwickeln, den künstlerischen Aspekt dabei auszuleben. Das war aber bei "En Garde" der Fall.
AVIVA-Berlin: Hattet ihr die Möglichkeit, auch eigene Vorschläge mit einzubringen?
Pinar Erincin: Wir haben uns über jede Szene vorher unterhalten und geguckt, ob es klappt oder nicht. Wenn uns irgendetwas nicht gefallen hat, haben wir das gesagt. Wenn Ayse etwas nicht gefallen hat, mussten wir das auch ändern.
Maria Kwiatkowsky: Ayse war sehr offen und das war schön. Es war uns wichtig, dass wir authentisch sind, dass die Geschichte nicht aufgesetzt oder künstlich wirkt. Wir waren uns alle einig, dass wir diese Menschenschicksale so stark wie möglich rüberbringen wollen. Dafür mussten wir manchmal man Texte ändern.
Pinar Erincin: Bei meinem Text gab es das Problem, dass Berivan schlechtes Deutsch spricht. Alle Texte mussten umgeändert, grammatikalische Fehler und falsche Wörter eingebaut werden. Ich hatte auch einen Sprachcoach, weil mein Deutsch eigentlich ziemlich perfekt ist (lacht). Es hat Spaß gemacht. Am Ende hat das ganze Team angefangen, mit Akzent zu reden, das war lustig.
AVIVA-Berlin: Was hat Euch an der Thematik gereizt?
Maria Kwiatkowsky: Ich muss zugeben, dass ich nicht so weit im Schauspieler-Business drin bin, um das abzuwägen: "Das mach ich mal, das mach ich nicht, weil es mich interessiert oder so", sondern wir haben diesen Film gemacht, weil er ein verlockendes Angebot war. Andererseits habe ich mich natürlich auch gefreut, dass die Alice eine Charakterrolle ist. Ich wusste von vornherein, dass ich viel daran arbeiten muss. Aber ich habe mich auch darauf total gefreut, eine ordentliche Rollenanalyse zu machen, so wie ich es im Theater gelernt habe.
Pinar Erincin: Für mich war wichtig, dass es nicht wieder so eine Klischee-Rolle ist. Das hat mich sehr gefreut. Bis jetzt habe ich immer das arme türkische Mädchen gespielt, das in die Türkei geschickt werden soll.
Maria Kwiatkowsky: Manche Leute sagen, dass ich inzwischen in die Psychopaten-Rolle gedrückt werde. Es ist ja toll, mal auszurasten, in die Psychiatrie zu gehen, da ein bisschen rumzukotzen und so weiter..., diese Erfahrungen machen Spaß. Aber ich hätte auch einmal Lust auf einen Psychothriller, eine Böse spielen oder einfach mal eine total schöne Frau. Das habe ich in der Rolle der Alice vermisst, aber sie sollte ja auch so aussehen. Nach 3 Monaten nervt es schon, immer die gleichen, hässlichen Klamotten zu tragen und morgens immer nur 2 Minuten in die Maske zu gehen und immer nur Fett in die Haare zu kriegen und keine Schminke.
Pinar Erincin: Mir wurden Pickel aufgeschminkt, ich durfte meine Augenbrauen nicht zupfen...
Maria Kwiatkowsky: Die Rolle der Alice war eine dankbare Rolle, weil sie so stark war. Aber ich sehne mich danach, auch mal eine Lady zu spielen und in der Rolle, die ich spiele, wohl zu fühlen. Nach "En Garde" habe ich lange gebraucht, diese Rolle abzuwerfen, weil sie mich wirklich bedrückt hat.
AVIVA-Berlin: Welche Botschaft hat der Film?
Maria Kwiatkowsky: Jeder hat seine Probleme in der Pubertät: sich zu finden, seinen Weg zu gehen, sich dem Leben entgegen zu stellen. Das unterstreicht die Fecht-Metapher: "En Garde" - der Kampf des Lebens beginnt. Das ist die Message. Alice schafft es, aus dem Teufelskreis auszubrechen, in dem ihre Familie gefangen ist: Ihre Mutter hat als Kind selbst Probleme gehabt. Sie wurde von ihrer Mutter auch nicht geliebt. Alices Mutter hat ihre Tochter verstoßen und das ist nicht leicht für ein Kind. Aber am Ende schafft sie es.
Wir müssen mehr nachdenken, auch das sagt der Film für mich. Das ist ja insgesamt eine Entwicklung im deutschen Film. Es werden mehr authentische Schicksale gezeigt, in denen die Menschen sich wiederfinden. Das finde ich gut. Der Film bewegt die Menschen dazu, über sich nachzudenken und das kann nur gut sein.
AVIVA-Berlin: Ãœbt der Film Kritik aus?
Maria Kwiatkowsky: Die Problematik des katholischen Mädchenheims wird oft falsch verstanden. Es ist eigentlich ein Ort, an dem sich die Kinder wohl fühlen. Dass sie sich streiten, ist völlig normal.
Die Kritik des Films richtet sich mehr auf die Frage, wie mit diesen Menschen umgegangen wird. Die Mutter ist unfähig, ihr Kind großzuziehen. Wer kann diesem Kind helfen? Wer nimmt das Kind auf, damit es sich entwickeln kann und aus diesem Milieu rauskommt? Berivan hat Angst, dass sie nicht in Deutschland bleiben kann, sie sieht keine Zukunft für sich. Es gibt viel zu viele Jugendliche, die Angst haben und nicht wissen, wo sie hingehören.
AVIVA-Berlin: Ist "En Garde" ein Frauenfilm?
Maria Kwiatkowsky: Von der Besetzung her schon. Der Film ist von Frauen erdacht, realisiert und produziert worden. Ich finde, dass es ein Frauenfilm ist.
Pinar Erincin: Ich finde nicht, dass der Film für ein Frauenpublikum gemacht ist. Diese Problematik und diese Ängste kennt jeder in seinem Leben. Der Film betrifft Frauen und Männer.
Maria Kwiatkowsky: Was den Film zum Frauenfilm macht, ist die Art, mit Themen umzugehen, sie sensibel darzustellen. Wenn ein Mann den Film gemacht hätte, wäre er auf jeden Fall ganz anders geworden.
AVIVA-Berlin: Welche Ratschläge könnt Ihr jungen SchauspielerInnen geben?
Pinar Erincin: Auf jeden Fall eine Agentur suchen, die sie leitet. Damit sie nicht in eine falsche Richtung gehen. Man braucht jemanden, der einem den Weg zeigt, einen unterstützt. Ob es Eltern sind, eine Agentur oder ein Mensch, der Beziehungen hat. Man muss diesen Beruf lieben, sonst gibt man auf, wenn man mal keine Angebote bekommt. Und man darf nie aufhören, an sich zu arbeiten. Alles ausprobieren, was einem Erfahrung vermittelt und einen weiterbringt.
Maria Kwiatkowsky: Sich ausprobieren. du musst dir überlegen, in welcher Hinsicht du etwas schaffen möchtest. Ob du ein künstlerisches Projekt schaffen oder ob du einfach niedere Unterhaltung machen willst. Und der Beruf ist harte Arbeit, ganz egal, ob du Theater, Film oder Fernsehen machst. Alles andere ist Illusion.
Pinar Erincin: Man kann Privatunterricht nehmen, beim Theater mitwirken, so viele Sachen ausprobieren. Man darf sich nicht an einen Ast hängen und auf Teufel komm raus versuchen, sich an diesem Ast hoch zu hangeln. Ich habe Regieassistenz gemacht, Lesungen, Arbeit mit Kindern. Es gibt viele Wege.
Vielen Dank für das Interview
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